Die Benachteiligung von selbstständig arbeitenden Müttern ist als strukturelles Problem innerhalb der Gesellschaft zu verstehen. Auch der akademische Bereich ist hier keine Ausnahme. Von fehlenden Zuständigkeiten, Ausflüchten und Verlusten auf vielen Ebenen erzählen uns J. & A.:
„Ich möchte kurz meine Erfahrung mit Schwangerschaft und Selbstständigkeit mit euch teilen, denn gerade befinde ich mich diesbezüglich in einer Situation, die mich hilf- und oft auch hoffnungslos zurücklässt.
Ich bin freiberufliche Psychologin und arbeite als Gutachterin für Straf- und Zivilprozesse in Solo-Selbstständigkeit.
5 Monate nach Beginn meiner Selbständigkeit wurde ich zum ersten Mal schwanger. Ungeplant, aber ich habe mich gefreut. Es war schnell klar: finanziell wirds schwierig. Mein Geburtstermin lag im November, ich war erst seit Oktober des Vorjahres selbstständig und hatte vorher eine 50 %-Doktorantinnenstelle an der Uni.
Da man in meinem Job immer erst mehrere Monate vorarbeiten muss, bevor man Rechnungen stellt, wurde also mein Elterngeld (für das vorangegangene Geschäftsjahr, ihr kennt es) auf Basis von 10 Monaten Teilzeitstelle an der Uni berechnet und belief sich auf großartige 600 Euro − ungeachtet des deutlich besseren Verdienstes, den ich in der Schwangerschaft bereits mit der Selbständigkeit erwirtschaften konnte.Somit war Elternzeit für mich leider nicht drin, ich habe nach 8 Wochen wieder arbeiten müssen und ein sehr hartes erstes Jahr mit Kind hinter mich gebracht. Immerhin aber lief diese Schwangerschaft, bis auf eine Präeklampsie am Ende gut und ich konnte arbeiten.
Im Januar diesen Jahres wurde ich erneut schwanger. Ich hatte von Anfang an Komplikationen, Hämatom, erhöhtes Präeklampsierisiko wegen der Vorgeschichte und sehr starke Übelkeit.
Beschäftigungsverbot, wie ich es aus medizinischer Sicht hätte kriegen sollen… nicht möglich, oder auch finanziell nicht machbar. Die Aufträge liegen da und wer soll sie übernehmen? Ich habe also weiter gearbeitet und schließlich nach Blasensprung in der 18. Woche mein Baby verloren (natürlich ist das nicht unbedingt WEGEN der Arbeit passiert, aber es passierte nunmal).Nun habe ich vor 2 Wochen still entbunden und auch jetzt muss ich eigentlich wieder arbeiten, denn Krankschreibungen oder Ausgleichszahlungen sind für mich nicht vorgesehen.
Ab September, meinem Entbindungstermin, hatte ich keine Aufträge mehr angenommen. Auch für eine mögliche neue Schwangerschaft, die ich vielleicht ab September/Oktober wieder angehen würde, gilt nun, dass ich dann eigentlich hochrisikoschwanger wäre und nicht arbeiten darf.
Nun stehe ich da mit meiner sorgfältigen Planung und weiss nicht, was tun: Aufträge annehmen ab September? Keine annehmen, weil ich wieder schwanger werden könnte? Wenn ich keine annehme und schwanger werde, oder später schwanger werde, fehlt mir das Geld nicht nur während der Schwangerschaft, sondern auch in einem potenziellen Elterngeldjahr in 2022, da ja immer noch das abgeschlossene Geschäftsjahr gelten würde, wenn ich im nächsten Jahr entbinden würde.
KEINES dieser Probleme hätte ich, würde ich angestellt arbeiten, was übrigens in meinem Beruf nicht möglich ist, da es kaum abhängige Beschäftigung für Sachverständige/Gutachter*Innen gibt. Ich bekäme Beschäftigungsverbot, volles Gehalt und Mutterschutz und Elterngeld, welches sich auch bei Beschäftigungsverbot in der Schwangerschaft nicht verringern würde.Es tut mir leid, dass es so lang geworden ist, aber leider fallen die Missstände immer dann besonders ins Gewicht, wenn es kompliziert wird und so ist meine Lage. Am Ende steht eine Entscheidung zwischen Kinderwunsch aufgeben, meine Gesundheit und eine erfolgreiche Schwangerschaft aufs Spiel setzen und arbeiten, oder mein finanzielles Auskommen aufs Spiel setzen und alles für die Schwangerschaft tun. J.“
Ungeachtet der Branche stehen Frauen vor den gleichen Herausforderungen, Problematiken und prekären Situationen. Auch A. kommt aus dem wissenschaftlichen Bereich und hat Ihre negativen Erfahrungen mit uns geteilt:
Danke dass du/ihr diese Petition gestartet habt! Ich bin in der Wissenschaft und werde aktuell über zwei Stipendien finanziert. Dazu bin ich auch schwanger ohne Anrecht auf Mutterschutz. Das bedeutet: ich kann zwar pausieren, aber bekomme dann kein Geld. In der Wissenschaft trauen sich kaum Frauen, schwanger zu werden, die über Stipendien finanziert werden.
Unsere Situation ist recht ähnlich wie die der Selbstständigen. Ich würde mich freuen, wenn man im Rahmen dieser Petition auch auf die Situation der Stipendiatinnen aufmerksam machen könnte. Stipendien sind ein weit verbreitetes Mittel, mit dem sich die Unis vor Festanstellungen drücken können. Es betrifft also auch einige Frauen.
Hg und viel Erfolg A.“